AT LEAST I DIDN'T ROB A BANK

Galerie Andreas Huber 2015

Für ihre Einzelausstellung in der Galerie setzt sich Carola Dertnig mit Fragen der Achtsamkeit auseinander, die die Genres Malerei, Film, Textilkunst und Performance zusammenführen, die über Status durch Materialwahl spekulieren und sich mit der nach wie vor sehr präsenten Kunstform der Appropriation beschäftigen.
Ausgangsmaterial für Dertnigs großformatige, fast quadratische Bilder waren Kopien von Filmstreifenresten des Regisseurs Ernst Schmidt Jr., die sie von dessen Bruder, Helmut Benedikt, bekam und - übermalte.
Die Kopie der Kopie der Kopie ist - auch ein Original. Die überarbeiteten Papierkopien der Filmkopiereste wurden als Collage auf die sorgfältig bemalte Leinwand aufgebracht. Jeder einzelne Collage-Schnipsel wurde einer aufwändigen, wiederholten Transfer-Technik unterzogen, um dann bis auf die letzte Schicht abgewaschen zu werden – das erinnert an Restaurierungstechniken. Die Bilder erzeugen aber vor allem eine Siebdruckillusion. Eine Illusion deshalb, weil statt vieler Riesensiebe ein ganz kleinteiliges, dennoch arbeitsaufwändiges Verfahren gewählt wurde. Ein Siebdruck würde zwar viel perfekter erscheinen, könnte aber die Sichtbarkeit der vielen Feinheiten nicht ermöglichen, er wirkt angleichend. Dertnigs Methode hingegen fokussiert auf die Vielfalt und Besonderheit des Einzelnen: jedes Teilmotiv muss einzeln bearbeitet werden, Überlagerungen entstehen durch Wiederholungen, außerordentliche Achtsamkeit ist gefordert um nichts zu verletzen, wie bei der vorsichtigen Freilegung eines Freskos, es ist eine Anerkennung von etwas bereits Vorhandenem.
Carola Dertnig beschäftigt sich erst einmal mit Dingen, die vernachlässigt oder keine besondere Aufmerksamkeit erfahren würden – Reste, Leinwand, Grundierung, Drucktechnik.
Basteln statt Protzen, eine Anerkennung von „kleinen“ Praxen, nicht ausgesprochen eine Versöhnung von Kunsthandwerk und Kunst, aber über der Beachtung eines Jeden zieht sich doch eine Bewusstwerdung für die oft vorgenommenen „feinen Unterschiede“ durch. Dertnig trägt mit dieser dem handwerklichen Schaffen eingewobenen Beobachtung dazu bei Distinktionen abzuflachen: Dünkel ist bedeutungslos angesichts achtsamer Hingabe.
Genres schließen sich nicht aus, Perfomance, Film, Dokumentation, Malerei bergen immer noch ein Potenzial, einen Weg, der noch unbeschritten liegt. Nicht umsonst mutet die Musterung der Bilder nahezu tänzerisch an. Hier wird die Dokumentation in choreografische Malerei und stoffliche Sinnlichkeit überführt. Damit wird die Dokumentation gleichzeitig auf eine Tradition wie z.B. in der Textilkunst zurückbezogen, deren Narrationsrepertoire von Motiven und Symbolen, von Dokumenten menschlicher Weltvorstellungen bestimmt ist. Bei Dertnig ist es die Dokumentation von künstlerischen Akten und Prozessen, die abstrahiert, appropriiert, künstlerisch verarbeitet wird.
Um sich noch einmal der eindeutigen und enorm vielfältigen Gesten der Appropriation anzunehmen, die Dertnig für diese Ausstellung aufgerufen hat, dann sieht man Dertnigs Umwandlungen, ihren Bildern, die ausgeglichene Wertschätzung für alles ihnen Innewohnende an. Ihre Bilder leben nicht von stummer Einverleibung, die nur die eigene Referentialität schönt, und ihre Bilder werden genauso wenig dem Kunstsystem als autonom untergejubelt – sie sind im Gegenteil in Bild gesetzte Reflexion von diesem System selbst, sei es bei Aspekten von Eigentum, Wert, Arbeitstechniken, Produktionsbedingungen oder Präsentations-Etiketten. Die solcherart geordnete Ausstellung kann dabei ein paar lose hängend bedruckte Leinwände und Lavendeldrucktaschentücher locker verkraften. Kunstsystem, definier dich doch noch mal! Es ist ja kein Bankraub, den man verlangt.

Carola Platzek