Sans Titres

2009-2015

Sans titres, 2009 - 2015
Diainstallation / Prints

Ma Mère war eine sehr aKtraktive Frau, und hat eine hak kleine Nase.
Das schrieb ich mit sieben Jahren über meine Mutter. Das AKTtraktiv stimmte insofern, als sie damals Besitzerin eines Clubs, des VANILLA, war, dort einen Salon führte und Freiheit dabei recht frivol verstanden wurde. Es waren schließlich die 1968er, Revolution vor allem gleichbedeutend mit offener Sexualität. Im Vanilla zelebrierte man dementsprechend die VANILLA VAMP ROMY SCHNEIDER PHASE, die gleichzeitig auch Ma Mère's „sexuelle Befreiungsphase“ repräsentierte. Das Hotel Orient, eine gehobenere Form von Stundenhotel, wurde zu unserem zweiten Wohnzimmer. Die Antibabypille war gerade erfunden, Sex mit Jedem in, und in den Betten folgte man beflissen dem Gebot, sich von bürgerlichen und puritanischen Zwängen zu befreien. Zu dieser Zeit trug Ma Mére Satinanzüge à la Marlene Dietrich in Knallblau und am Revers einen roten Kussmund, eine Brosche. Für Ma Mère war jede Revolution zwingend mit modischem Ausdruck verbunden.Ich fand zwar, dass darin für Frauen nicht unbedingt nur Befreiung aufgehoben war – aber ich gehöre einer anderen Generation an. Später nähte Ma Mère einen Kilt aus all den übriggebliebenen Pullovern ihrer Liebhaber. Lange diente der Kilt als Überwurf für mein Kinderbett – ich fand es scheußlich.

 

Ma Méres Nase übrigens war und wurde nie klein. Später wurde sie leicht korrigiert, angeblich aus Atemnot, ein paar Fältchen wurden gleich mit kaschiert. Mode, das war die Welt. Mode hieß, Teil der Hautevolee, der internationalen großen Welt zu sein, auch wenn man kein Geld hatte. Die Mode kam direkt aus Paris, man war der Zeit in WIEN weit, weit voraus. Wenn Ma Mère als junge Frau geschäftlich unterwegs war, etwa als Kosmetikberaterin für Revlon , dann sparte sie die Diäten (sie hungerte also)und kaufte sich lieber einen „geilen Fetzen“. Ma Mère trug die Modefarbe rot. SIGNALROT liefen die schwarzgrau-kariert uniformierten Passanten an, wenn Ma Mère durch die Kärntner Straße spazierte. Als in Wien zwei Jahre später Rot en vogue war, trug Ma Mère selbstverständlich längst Silber mit Pepita. Elle und Vogue wurden bei Geldfluss abonniert, bei Geldmangel einfach nicht bezahlt.

Chenille, Plissee, Alpaca, Organza, Kaschmir, Krepp und Seide wurden am Flohmarkt befühlt. Ein Plastikfaserkleid aus dem Kleiderberg ziehen? Das ging gar nicht, verächtlich wies Ma Mére einen zurecht. Es war ihre „Ecoles de Material“.

 

Später brauchte sie Geld, um die Schulden ihres Exmannes, eines Mafioso und „Twisttänzers der dritten Art“, zu tilgen. Er hatte sich rechtzeitig in den Untergrund abgesetzt und Ma Mère stand mit dem Schuldenberg da. Was tun? Sie verkaufte eigentlich unverkäufliche Kosmetikproben von „Clinique“ an ihre Freundinnen. Ein paar sprechen bis heute nicht mehr mit uns. Die Proben waren damals groß, damit kam man eine ganze Zeit lang aus. Manchen Frauen, die die Parfümerie aufsuchten und nach wenig Geld aussahen, empfahl sie: „Kaufen sie doch nicht dieses teure Zeug, eine Nivea tut es auch, es ist überall dasselbe darin." Da stand sie eines Tages im Burberry- Anzug mit orangefarbenen Haarclips und einem Pagenkopf mit passenden Lippenstift, als ihr Kosmetikchef, der Ma Mère an sich sehr schätzte, erschien und ihr liebevoll nahe legte, sie solle sich doch lieber einen besseren Job suchen. Augenscheinlich wäre sie zu intelligent für diesen Beruf. Ma Mère änderte ihre Pläne, und im neuen Pass erschien als Berufsbezeichnung fortan „Illusionistin“.

 

In Italien trugen die Feministinnen Lippenstift. In Wien rannte man in ausgeleierten lila Latzhosen herum, ohne eine Spur von Schminke. Ma Mère wurde Feministin der ersten Stunde, unter einer Bedingung: mit Lippenstift und Stil.

Ma Mère trug bis über die Knie geschnürte römische Sandalen zu einem Hosenrock, und das, obwohl ihre Waden kräftig waren. Dazu kombinierte sie einen lila Batikmantel. Es war einfach formidabel!

Ich bekam einen Hosenrock und einen Jeansanzug aus New York importiert; zu dieser Zeit trugen noch alle Mädchen Kleider. In der Schule war es kein Spaß, derart aufzufallen und aus der Reihe zu tanzen, aber ich gehörte so zur Boheme – jeden Tag ein anderes Outfit, immer passend für den Anlass. Nie war etwas oberflächlich, alles war ganz genau durchdacht: ob ganz in schwarz und nur ein rotes Armband, ob Pepita mit Melitta, ob Petit Point und Krepp meliert. Eine alte Jacke wurde händisch umgenäht, das Innenfutter nach außen gekehrt, je älter die Kleidung war, desto präziser wurde sie behandelt. Modische Verirrungen gab es nicht und es wurde kein Gramm zu viel geduldet. Kritisch wurden andere Körper selben Alters begutachtet und es hieß spitz: „Keine Falte, aber so ein Bauch“. Später, während meiner Punk Rock-New Wave-Zeit stellte sie lakonisch fest : „In Italien sieht selbst Punk Rock gut aus, in Wien nicht“.

 

Manchmal standen wir auf der Straße, beide gleich groß, gleich blond, gleich stark – die eine mit einem rosafarbenen Tuch, die andere mit einem dunkelroten, beide Tücher mit Gold verwoben – und prügelten uns. Die Tücher waren aus Tunesien importiert, unserem zeitweiligen Domizil, wo wir vier blinde Schäferhunde hatten, die uns vor den Tunesiern retten sollten. Die Männer radelten im Schwarm hinter einem her und schrien: Hallo, wie geht es!, bis man endlich in die Boutique entkommen konnte, wo ich damals arbeitete. Der dreizehnjährige Neffe des schwulen Ladenbesitzers versuchte mich (ich war fünfzehn) in der Umkleidekabine zu küssen, bis mir der Kragen platzte und ich ihm derart eine drüber zog, dass er von Veilchen übersät war. Ich war also geübt, und so standen wir mit unseren tunesischen Tüchern auf der Mariahilfer Straße und rauften. Die Passanten waren überfordert, wen sie unterstützen sollten – wir waren doch gleich stark. Später traten wir einmal in einer TV-Serie über Mütter und Töchter auf – alle anderen schnitten gut ab und gaben sich vor der Kamera ganz nonchalant: Aber nein, keinesfalls kritische Verhältnisse, alles war bei ihnen vollkommen harmonisch. Dann kamen wir an die Reihe, ich denke, wir wirkten recht authentisch. Wir stritten und schrien uns aus Leibeskräften an, aber stylish waren wir – ich im New Wave- und 
Ma Mère im Italo-Feministinnen-Look.

Vivienne Westwood, Prada, Dolce & Gabbana wurden wochenlang umschlichen, bis die erkorenen Stücke im Ausverkauf waren, für die dann immer noch ein Wahnsinnsgeld zu beheben war. Und an den Teilen wurde im Nachhinein individuell gefeilt – ein Issey Miyake Rock bekam von einer Freundin einfach einen Siebdruck verpasst, weil er Ma Mère zunächst zu langweilig erschienen war.

Dann waren da noch Ma Méres Farben: Türkis, Ultramarin, Karminrot, Ocker, Sonnengelb. Dazu Karos, Streifen aller Art, X Schuhe, ein Paar oft in vier verschiedenen Ausführungen und Farben. Alles meine Größe... Und Schals – nicht ein paar, nein Hunderte waren es, aus Seide, aus Wolle, aus Kaschmir und das ganze weiche „Du weisst schon, das Kaschmir von der Frau aus der Schweiz“-Pashmina (ich wusste es nicht) aus Indien, das selbst in Indien 400 Euro gekostet hatte, wie immer in 1000 Farben. Ma Méres Kleiderkasten glich einem Museum und ihr Credo lautete: Falten lassen sich mit Stoff kaschieren. Je mehr Falten man hat, desto röter sollen die Lippen sein, desto eleganter soll das Outfit ausfallen. Nach ihrem Tod verteilte sich ihre Kollektion unter ihren Freundinnen, wir liefen in Unterhosen herum und probierten und wählten aus diesen Hunderten von Stücken. Manchmal denke ich an ein spezielles Gewand von ihr, das eine oder andere habe ich noch, und ich denke, das würde doch heute mir passen.