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2008

Vor der Wohnung zu stehen und die Klingel zu drücken war meistens verbunden mit einem flauen Gefühl im Magen. Ich wusste nicht, wie ich empfangen werden würde. Schon flog mit einem rasanten Schwung die Flügeltüre auf und eine kleine, zarte, ältere, elegant gekleidete Dame mit rotem Lippenstift stand mir gegenüber und musterte mich von oben bis unten. Ihr Blick blieb bereits unter meinem Hals hängen und schon kam es: „Wie laufst du denn rum mitten im Winter mit so einem nackerten Dekoltee? Trägt man da keinen Schal?“

Einmal drinnen in Lülja Prauns Wiener Altbauwohnung verlor ich mich in jedem Detail. Jede Ritze erzählte Geschichte. Da stand ich im Vorraum und sah im Spiegel Lüls Arbeitsraum. Links waren zwei Arbeitstische mit unzähligen Architekturplänen drapiert. An der Wand hingen Fotos, Bilder, persönliche Notizen. Mitten darin ein Foto von Eileen Gray, neben einem kleinen Bild von Sonja Delaunay.

Erst viel später las ich ein Interview, in dem Lül erzählte:

„Ich war damals oft bei meiner Schwester in Paris, dort habe ich Eileen Gray kennengelernt. In Wien hat ihre Arbeit niemand gekannt. Die Architekten Kurrent und Spalt haben gesagt: ‚Was bringst du uns denn da daher?’ Aber Eileen Gray war eine der größten Persönlichkeiten unserer Zeit. Nie hat sie irgendetwas Überflüssiges an einem Möbel gemacht, dabei hat sie nur Lackierer gelernt. Leider waren nur zwanzig Leute bei der Eröffnung. Das war 1970. Wie ich sie kennengelernt habe, hat sie fast nichts mehr gehört und gesehen. Ich habe mir einen Tisch von ihr in Italien gekauft. Sonja Delaunay traf ich auch in Paris. Ich hatte am Flohmarkt einen Mantel gefunden, der offensichtlich von ihr angefertigt worden war. Ich besuchte Sonja Delaunay dann kurz vor ihrem Tod cirka 1979 und sie bestätigte mir, dass der Mantel als erster von dreien für die Schauspielerin Gloria Swanson entworfen und genäht wurde.

Seit 1956 habe ich ein eigenes Atelier und habe mich auf Möbel spezialisiert. Architektur hat mich insofern interessiert, dass ich einige Häuser gebaut und umgebaut habe.

Später hat es sich durch meine Auftraggeber so ergeben, daß ich nur noch Möbel gemacht habe. Mein erstes Möbel habe ich noch in Bulgarien entworfen. Ich hatte einen Kosmetiksalon für eine Freundin eingerichtet. Die Möbel waren nicht schlecht, sehr einfach und konventionell. Ein bißchen angelehnt an die Thonet Möbel meiner Eltern. Meine Mutter, sie war Gynäkologin, hatte sie von der englischen Botschafterin geschenkt bekommen, die eine Patientin von ihr war.

Meine Mutter erlaubte mir zu Hause, die Möbel zu verücken, soferne sie am Abend wieder zurück gestellt waren. So entwickelte ich ein Gefühl für Räumlichkeit.

An der Tu in Graz habe ich als einzige Frau Architektur studiert. Schwer war es nicht, aber ungewohnt. Viele haben darüber geschrieben, wie ich geschwitzt habe, nur unter Männern zu bestehen, aber das ist übertrieben. Es war nicht angenehm und ein Fremdkörper war ich schon.

Meine Möbel sind oft Kombinationen aus verschiedenen Materialien, und ich habe ein Faible für Steine. Als Studentin in Graz habe ich jeden Samstag auf Flohmärkten Steine gekauft. Da habe ich meine Steinsammlung begonnen. Wirklich versessen bin ich auf Kristalle, die haben eine ganz spezielle Form. Diese Formen darf man auch bei Möbeln nicht verlassen. Schiefe Glassachen, die Leute gestalten, weil es modern ist, wenn ein Eck vom Haus herausragt, habe ich immer abgelehnt. Da ist keine Beziehung zwischen den Linien zu finden. Es gibt auch ganz gute Dinge, aber die Verwandtschaft von Glas- und Betonbau finde ich sehr schwierig. Das Wort Design verwende ich überhaupt nicht. Als Designerin würde ich mich nie bezeichnen. Design kann jeder, der es will. Aber wenn man ein Möbel macht, muß man schon wissen, was man macht. Und man braucht die richtigen Handwerker dazu. Ich war nicht interessiert, Möbel in Serie gehen zu lassen. Ich habe ein einziges Mal einen Sessel für die Triennale gemacht, dort ist er auch verkauft worden. Einige Leute haben Möbel von mir gesehen und wollten sie haben. Ich habe sie dann immer ein wenig verändert und mit anderen Materialien und Farben ausgeführt. Ich will keine Möbel machen, die nicht in einen Raum passen. Auch in meiner Wohnung, wenn an der Stelle des Tisches von Eileen Gray ein Sofa stehen würde, würde ich es sofort wegtragen. Ich will Transparenz. Ich will, daß der Raum freibleibt.“